Die Sozialdemokratische Partei (SP) strebt die vollständige Abschaffung des Bankgeheimnisses an. Es stehen Hunderte Milliarden auf dem Spiel: Ökonomen zufolge verbergen Schweizer mehr Geld vor dem Fiskus als Bürger anderer Länder.
Bundesrat Hans-Rudolf Merz verkündete 2008 im Nationalrat: «Denjenigen, die das schweizerische Bankgeheimnis angreifen, sage ich voraus: Ihr werdet euch daran die Zähne ausbeissen.» Doch kurz darauf gab die Schweiz dem Druck des Auslands nach.
Bedeutende Persönlichkeiten prognostizierten später, dass das Bankgeheimnis auch im Inland bald enden würde. «Die Schweiz darf kein Zufluchtsort für unversteuertes Geld von Schweizern sein», sagte der Bankier Pierin Vincenz 2014 in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag».
Die Aufregung um die Schwarzgelder hat sich schnell gelegt. Ist das Bankgeheimnis wirklich so unantastbar wie eine Nonne, wie es der frühere Finanzminister Willi Ritschard ausgedrückt hat? Der eigentliche Härtetest steht noch aus: Im März reichte die Berner SP-Nationalrätin Andrea Zryd eine parlamentarische Initiative ein, die den automatischen Informationsaustausch auch für inländische Finanzkonten fordert. Bald wird dieser Vorschlag der zuständigen Kommission des Nationalrats vorgelegt.
«Mir geht es vor allem um Steuergerechtigkeit», erklärt Andrea Zryd. «Es ist ungerecht gegenüber denen, die ihr Vermögen ordnungsgemäß angeben, wenn einige den Staat straflos betrügen können.» Sie betont, dass ihr Vorstoß nicht als Angriff auf Reiche zu verstehen sei: «Wir wollen niemanden ins Gefängnis stecken. Deshalb könnte eine vorübergehende Steueramnestie sinnvoll sein.» Der Informationsaustausch mit dem Ausland habe außerdem bewiesen, dass der Schutz der Bankdaten nach wie vor gewährleistet ist.
Der Staat muss sparen
Ein weiterer Grund für die Initiative ist der erhebliche Sparzwang. „Durch Steuerhinterziehung entgehen dem Bund, den Kantonen und Gemeinden Milliarden, die für wesentliche Bereiche wie Bildung oder Infrastruktur benötigt werden“, so Zryd. Er bezieht sich auf Schätzungen, laut denen der Staat jährlich zusätzlich 5 bis 10 Milliarden Franken einnehmen könnte.
Für die Gültigkeit dieser Berechnung müsste allerdings ein beträchtlicher Anteil der Steuerpflichtigen bestimmte Vermögenswerte nicht angeben. Ob dies realistisch ist, lässt sich nicht überprüfen, da solche Gelder verborgen sind. Eine Annäherung bietet jedoch eine Analyse von Marius Brülhart, Wirtschaftsprofessor in Lausanne. Zusammen mit drei anderen Ökonomen untersuchte er die Vermögensentwicklung im Kanton Luzern nach einer Halbierung der Vermögenssteuern. Daraufhin erhöhten sich die deklarierten Vermögen signifikant, teilweise weil mehr Vermögen gegenüber dem Fiskus offengelegt wurden.
Brülhart schätzt, dass die Summe der in der Schweiz nicht deklarierten Gelder zwischen 400 und 500 Milliarden Franken liegt, was fast einem Fünftel des steuerbaren Vermögens entspricht. Eine ähnliche Größenordnung ergibt sich, wenn man die Vermögen aus der Steuerstatistik mit denen aus der Bankenstatistik vergleicht.
Auch der Mittelstand schummelt
Der Lausanner Professor führt die beträchtliche Summe darauf zurück, dass Steuerhinterziehung nicht nur unter den sehr Reichen verbreitet ist. «In der Schweiz reicht es oft aus, ein Konto zu ‹vergessen›, während in anderen Ländern größere Anstrengungen erforderlich sind, sei es durch aktiven Betrug oder komplexe Strukturen, die sich nur die Wohlhabenden leisten können.»
Brülhart vermutet, dass die Offenlegung inländischer Konten jährliche Steuereinnahmen von 2,5 Milliarden Franken generieren könnte. Enea Baselgia, Ökonom an der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, hat in seiner Forschung ebenfalls Hinweise auf erhebliche nicht deklarierte Vermögen gefunden. Zwischen 2010 und 2020 haben 156.000 Steuerpflichtige im Rahmen der Steueramnestie und des Informationsaustauschs mit dem Ausland Vermögenswerte in Höhe von 66,4 Milliarden Franken offengelegt.
Baselgia stellt fest, dass Steuerhinterziehung in der Schweiz im Vergleich zu ähnlichen Amnestieprogrammen im Ausland weit verbreitet ist. «Die Wahrscheinlichkeit, dabei erwischt zu werden, ist hierzulande relativ gering. Daher haben die Strafen nur eine geringe abschreckende Wirkung: Wird jemand dennoch erwischt, zahlt er normalerweise das Doppelte dessen, was er gespart hätte.»
Privatsphäre schützen
Der Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter spricht sich strikt gegen die Abschaffung des Bankgeheimnisses aus. Er argumentiert, dass der Staat ohne Verdachtsmomente kein Recht habe, in die Privatsphäre der Bürger einzudringen. Matter ist überzeugt, dass Steuerhinterziehung auf Bankguthaben in der Schweiz kaum noch vorkommt und sieht Schwarzarbeit als das größere Problem.
Die Verrechnungssteuer wurde eingeführt, um Steuerehrlichkeit zu fördern, führt Matter weiter aus. Nicht deklarierte Konten führen zu einem Verlust von 35 Prozent auf Zinserträge. Sollte das Bankgeheimnis fallen, müsste konsequenterweise auch die Verrechnungssteuer abgeschafft werden, was zu geringeren Einnahmen für den Fiskus führen würde.
Marius Brülhart findet es schwierig, die Höhe eines solchen Einnahmenausfalls zu schätzen, da der Bund den inländischen Anteil an diesen Erträgen nicht ausweist. Enea Baselgia bezweifelt indes, dass die Verrechnungssteuer reiche Personen stark abschreckt. Er meint, der Steuersatz müsste eher zwischen 50 und 60 Prozent liegen, da es für Reiche immer noch günstiger sei, auf die Rückerstattung der Verrechnungssteuer zu verzichten, um die Vermögenssteuer zu sparen. Außerdem könne die Steuer umgangen werden, beispielsweise durch den Kauf eines Fonds aus Luxemburg.
Im Parlament wird ein intensiver Kampf um die Initiative von Andrea Zryd erwartet. Die Bernerin deutet an, dass sie eine Volksinitiative in Betracht ziehen könnte, sollte sie im Rat keine Mehrheit finden.
Bild: Grok

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