Auf dem expandierenden Markt der Schönheitsindustrie gibt es ein neues Produkt: ein Nahrungsergänzungsmittel für die Hormongesundheit von Frauen. Es ist kostspielig, trägt den Namen “Balance” und wird in Dosen mit sanften Pastellfarben angeboten.
Influencerinnen, gekleidet in enge Sport-BHs und mit sonnengebräunten Bauchmuskeln, präsentieren es in ihren Kameras und teilen oft eine Geschichte der Heilung: Sie litten oder leiden unter “Hormonproblemen”, hatten lange keine Menstruation oder erlebten schmerzhafte Perioden. Die vermeintliche Ursache: zu viel Stress aufgrund übermäßiger Girlboss-Energie; sie waren zu sehr in der “männlichen Energie” des Strebens nach “höher, schneller, weiter”.
In dieser Erzählung ist das beworbene Nahrungsergänzungsmittel mehr als nur ein Supplement: Es repräsentiert einen Wandel des Lebensstils, der “hormonfreundliche” Rezepte und Sportpläne beinhaltet – und möglicherweise Beratungen bei zertifizierten Hormon-Coaches, die ein Leben im Einklang mit dem weiblichen Zyklus versprechen. In der Welt der Formung weiblicher Körper zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: weg vom hochintensiven Intervalltraining hin zu Pilates, von Low-Carb zu “Balance ist der Schlüssel”, von der Optimierung des Äußeren zur Optimierung des Inneren.
Blutwerte haben sich längst zu einem Lifestyle-Element entwickelt. Hormone-Health setzt den Trend des Biohackings, Trackings und Tracings fort, der bereits seit einiger Zeit Feuilletons und gesellschaftskritische Debatten prägt. Manche betrachten dies als pervertierten Ausdruck neoliberaler Selbstoptimierung, während andere es als erfreulichen Beweis für die prometheischen Fähigkeiten des Menschen ansehen.
Wenn man jedoch den Frauen zuhört, die sich um ihr hormonelles Gleichgewicht sorgen, wird schnell klar, dass Hormone-Health weit mehr bedeutet als nur Gesundheit, Langlebigkeit und Leistungsfähigkeit im Kontext des Biohacking-Diskurses, der in den letzten Jahren hauptsächlich von männlichen Anhängern vorangetrieben wurde.
Volle Brüste, glänzendes Haar
Im Bereich der Hormon-Gesundheit sind weibliche Sexualhormone, insbesondere Östrogen, nicht einfach nur ein Hormon unter vielen. Östrogen wird oft mit Weiblichkeit, Jugend und Schönheit identifiziert. Es symbolisiert die fruchtbare Frau, deren Fruchtbarkeit sich in vollen Brüsten, glänzendem Haar und straffer Haut manifestiert. Ihre Sinnlichkeit zeigt sich bis in die Bewegungen. Östrogen gilt zudem als Inbegriff einer “weiblichen Energie”, die mit der tiefen Weisheit natürlicher Ursprünglichkeit verbunden ist.
Die pastellfarbenen Verpackungen der “Hormone Balance”-Produkte beschwören mit Formulierungen wie “ayurvedische Kräuter”, “Maca aus Peru” und “Mango aus Indien” eine indigene, exotische Alternative zur rationalistischen Moderne herauf. Die Silhouetten von Frauen in Yoga- und Entspannungshaltungen erinnern daran, dass die weibliche Energie sensibel und verletzlich ist und leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann.
Die Hormone-Health-Bewegung fördert nicht nur den Übergang von wettbewerbsorientiertem Ausdauersport zu sanftem Pilates, sondern auch eine Veränderung des Wesens und des Lebensstils: Frauen sollen weniger als Girlboss agieren und sich stattdessen mehr auf ihre innere Göttin konzentrieren, die in häuslicher Umgebung und unter der Fürsorge eines männlichen Ernährers aufblüht. Aus dieser Sicht stellt die moderne Arbeitswelt mit ihren hohen Anforderungen ein Gesundheitsrisiko für Frauen dar.
Feministische Kräfte müssen sich im Angesicht dieser Ästhetik anspannen: Überall herrschen reaktionäre Vorstellungen von Weiblichkeit. Hormone-Health scheint, unter dem Vorwand von Gesundheit und Wissenschaftlichkeit, eine altbekannte Formel zu verfolgen: Eine gesunde Frau ist eine wahrhaft weibliche Frau, emotional, potenzielle Mutter und Hausfrau.
Krankmachende Schönheitsideale
Kritik an der Hormone-Health-Bewegung mag berechtigt sein, doch sie sollte den Leidensdruck berücksichtigen, der diese Bewegung vorantreibt. Frauen, die nach hormoneller Balance streben, sind auf der Suche nach Heilung. Ihre Erfahrungen ähneln sich: Viele haben seit ihrer Jugend strenge Diät- und Fitnessprogramme befolgt, um Körperfett zu bekämpfen. Sie erhielten Lob für ihre schlanke Figur und gewannen vielleicht sogar Anhänger in sozialen Netzwerken. Doch Ende zwanzig oder Anfang dreißig erleben sie oft die negativen Langzeitfolgen eines Östrogenmangels: verminderte Libido, trockene Haut, brüchige Nägel und Schwierigkeiten, schwanger zu werden.
Frauen erhalten von ihren Gynäkologen die Diagnose stressbedingte Amenorrhö und den Rat zur Stressreduktion. Zudem wird auf Studien hingewiesen, die zeigen, dass Amenorrhö das Risiko für Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz sowie Angststörungen und Depressionen erhöht. Kurz gesagt: Ein Mangel an Östrogen stellt ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko für Frauen dar und kann durch den Lebensstil bedingt sein.
Aus diesen beiden Tatsachen folgt nicht, dass Frauen auf die vermeintlich häusliche Sphäre der Ruhe und Geborgenheit beschränkt sein sollten. Die direkte Ursache für Hormonstörungen bei jungen Frauen ist nicht die Emanzipation, sondern das unerreichbare Ideal eines dünnen Körpers, das oft zu Lasten der reproduktiven Gesundheit geht, sowie eine Lebenswelt, die sowohl für Männer als auch für Frauen mit hohem Stress verbunden ist.
Lange Zeit hat die Medizin als Wissenschaft bestimmte Krankheitsursachen ignoriert, teilweise weil sie den männlichen Körper zur Norm erhoben hat. In der professionellen Sportmedizin wird mittlerweile das Paradigma des zyklusbasierten Trainings angewandt, und die stressbedingte Amenorrhö ist als Problem bei professionellen Ausdauersportlerinnen anerkannt.
Die feministische Theoriebildung verharrt in einer beharrlichen und doch eloquenten Stille. Ihr Schwerpunkt hat sich seit einiger Zeit verstärkt auf die diskursive Erzeugung von Weiblichkeit und Männlichkeit verlagert, mehr auf das “Doing Gender” als auf “Sex”. In dieser Sichtweise wird die im Vergleich zu Männern geringere Muskelkraft von Frauen hauptsächlich als ein Narrativ der Unterdrückung betrachtet, als ein “Doing Gender”, das es zu dekonstruieren gilt. Diese Theorierichtung erkennt patriarchale Tendenzen dort, wo sie auf medizinische und sportliche Diskurse trifft, die Frauen aus gesundheitlichen Gründen vom Ausdauer- oder Kraftsport abraten, wie es bis in die 1970er Jahre der Fall war. Konsequenterweise wird die Startnummer der ersten Frau, die den Boston-Marathon heimlich lief, als ein Symbol der Emanzipation angesehen.
Die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit Schwäche, Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit diente tatsächlich seit Jahrtausenden als Mittel zur Unterdrückung von Frauen. Es ist daher ein Verdienst des modernen Feminismus, aufgezeigt zu haben, dass Körperdiskurse Machtverhältnisse widerspiegeln können. Wenn jedoch Frauen, die mit den realen Bedingungen ihrer Körperlichkeit konfrontiert sind, im modernen Feminismus keine Ausdrücke für ihr Unbehagen oder Leiden finden, besteht die Gefahr, dass sie sich vom Ziel der Emanzipation entfremden.
Die Hormone-Health-Bewegung zeigt in Echtzeit, wie ein Mangel an emanzipatorischen Narrativen über weibliche Körperlichkeit Anfälligkeit für spirituell verbrämte, reaktionäre Rollenbilder schafft. Auf sozialen Netzwerken finden sich Tradwives – christlich-fundamentalistische Influencerinnen, die sich für „traditionelle“ Geschlechterrollen einsetzen – und Hormone-Health-Patientinnen zusammen. Tradwives nutzen den Gesundheitsdiskurs als argumentative Munition, um die Vorteile ihres Lebensstils zu untermauern – wissenschaftliche Belege lassen sich im modernen Diskurs einfacher als Wahrheitsanspruch darstellen als Bibelzitate. Hormone-Health-Patientinnen sehen in den Tradwives wiederum ästhetische Ideale für eine hormonbalancierte Weiblichkeit. Es bildet sich eine bedenkliche Allianz.
Image by Alexander Krivitskiy from Pixabay

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