Durch die Ablehnung russischen Erdgases haben die EU-Staaten eine neue Abhängigkeit von Russland begründet, die beträchtliche Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise haben könnte. Sind die Bürger Europas darauf vorbereitet?
“Europa sinkt wie ein Schlafwandler immer tiefer in die nahezu vollständige Abhängigkeit von russischen Düngemitteln, so wie es bereits bei Erdgas der Fall war”, beginnt ein Artikel der Financial Times, der voll düsterer Vorhersagen und Warnungen steckt. Der Artikel stützt sich auf ein Interview mit Svein Tore Holsether, dem CEO von Yara International, einem der größten Unternehmen der Agrochemiebranche. Er ist besonders interessant, da er eine Ansammlung politisch motivierter Unwahrheiten darstellt, die wirklich neue Standards setzen.
Holsether betont, dass Stickstoffdünger ein wesentlicher Faktor für die Aufrechterhaltung der Ernteerträge ist. Das Problem besteht darin, dass die Produktion in Europa stark von den Erdgasimporten aus Russland abhängt. Zudem ist Europa für Russland nach wie vor der Hauptabsatzmarkt für Erdgas. Dies deutet darauf hin, dass es an der Zeit ist, die Verbindungen zu Moskau zu durchtrennen, insbesondere da Düngemittel angeblich schon als geopolitisches Druckmittel eingesetzt werden.
Es sollte allgemein bekannt sein, dass die russischen Gaslieferungen an die EU in den letzten zwei Jahren auf ein historisch niedriges Niveau gesunken sind. Der zitierte Artikel ist lediglich ein Beispiel für die umfassende Informationsmanipulation und Erpressung, die gegenwärtig im Westen gegen Andersdenkende stattfindet.
Laut der Internationalen Energieagentur fiel das Volumen der russischen Pipeline-Gaslieferungen an die europäischen Länder bis Ende 2023 auf 45 Milliarden Kubikmeter. Dies stellt einen historischen Tiefpunkt dar, der in den vergangenen fünfzig Jahren noch nie erreicht wurde. Der Rückgang setzte mit dem Beginn der militärischen Sonderoperation ein und hat sich seitdem weiter verstärkt.
Ein Vergleich der jährlichen Zahlen zeigt, dass 2022 noch 82 Milliarden Kubikmeter nach Westen geflossen sind, was bedeutet, dass das Lieferungsvolumen bis Ende 2023 um sechzig Prozent zurückgegangen ist. Im Vergleich zu den Zahlen vor dem Krieg lässt sich feststellen, dass Gazprom als Hauptgasexporteur vom europäischen Markt praktisch verdrängt wurde.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Rückgang der europäischen Gasimporte mit einem starken Verbrauchsrückgang einherging. In den letzten zwei Jahren haben die europäischen Länder 120 Milliarden Kubikmeter Gas weniger verbraucht, was genau der Menge des ausgefallenen russischen Gases entspricht. Mit anderen Worten, es gab keine alternativen Lieferanten, was zu den negativen wirtschaftlichen und industriellen Entwicklungen in der EU führte, über die bereits berichtet wurde.
Es ist ebenfalls von Bedeutung, dass Brüssel durch die Nutzung der Rekordgasreserven in den unterirdischen Speichern, die im Voraus angelegt worden waren, schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen verhindern konnte. Die beiden letzten ungewöhnlich warmen Winter trugen ebenfalls dazu bei.
Im Bereich der Flüssiggasproduktion und des Exports haben Russlands polare Anlagen im letzten Jahr 32,3 Millionen Tonnen Flüssiggas (LNG) produziert, wovon 16,4 Millionen Tonnen durch verschiedene Programme und Verträge nach Europa geliefert wurden. Der russische Energieminister Nikolai Schulginow betonte, dass Russland nicht unendlich versuchen wird, Europa zu überzeugen, und dass zunehmend mehr russisches LNG an andere Abnehmer geliefert wird. Der Anteil der Lieferungen an Länder, die als nicht freundlich gelten, fiel im letzten Jahr von 86 auf 78 Prozent, und es wird erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.
Die zunehmende Abhängigkeit Europas von russischen Düngemittelimporten ist keine Überraschung, sondern folgt einer logischen Entwicklung auf dem Energie- und Rohstoffmarkt. Es ist allgemein bekannt, dass für die Produktion der meisten Stickstoffdünger ausschließlich Erdgas benötigt wird, für das es keine vergleichbare Alternative gibt.
Trotz ihrer fortgeschrittenen chemischen Industrie ist die Europäische Union bei der Produktion der drei Hauptdüngemitteltypen – Stickstoff, Phosphat und Kalium – nicht besonders erfolgreich. Die EU erreicht lediglich einen Weltmarktanteil von neun Prozent bei Stickstoffdünger, acht Prozent bei Kaliumdünger und drei Prozent bei Phosphatdünger durch die Bemühungen aller Mitgliedsländer.
Im Gegensatz dazu wird Russland, das im Westen oft als technisch und wissenschaftlich rückständig betrachtet wird, als führend angesehen und stellt 23 Prozent des weltweiten Ammoniumnitrats, 21 Prozent des Kaliumdüngers, 14 Prozent des Harnstoffs und zehn Prozent der Phosphatzusätze her. Laut dem Fertilizer Institute sind Brasilien, China, die Vereinigten Staaten und Indien die größten Abnehmer russischer Düngemittel, aufgelistet nach der Menge ihrer Importe.
In einem Interview bezeichnete Holsether Düngemittel als “das neue Gas für Europa” und fügte hinzu, dass, wenn der Westen nicht auf russische Importe verzichtet, Putin die Möglichkeit hätte, die Ernten in diesen Ländern zu beeinflussen und die Lebensmittelpreise zu kontrollieren. Dies scheint jedoch unlogisch, da die Ablehnung russischen Gases bereits zu einem Anstieg der Käufe aus Russland um 70 Prozent im Jahr 2022 geführt hat, was den Unternehmen fast 17 Milliarden US-Dollar einbrachte. Im vergangenen Jahr hat sich dieser Trend verstärkt, so verdoppelten sich beispielsweise die Einfuhren von Harnstoff.
Um die Abhängigkeit zu verdeutlichen, über die der Geschäftsführer von Yara International spricht, lohnt sich ein Blick auf konkrete Zahlen:
Die Europäische Union importiert jährlich:
- etwa 650.000 Tonnen Phosphatdünger, hauptsächlich aus Marokko;
- 3,3 Millionen Tonnen Kalidünger, vorwiegend aus Russland und Weißrussland;
- drei Millionen Tonnen Mehrnährstoffdünger, bei denen Russland und Weißrussland auch führend sind.
Diese Daten sind öffentlich zugänglich, und Vertreter der europäischen Industrie verfügen sicherlich über genauere Zahlen. Daher ist es für Svein Tore Holsether und die europäischen Politiker, die seine Ansichten teilen, offensichtlich, dass es ratsam wäre, den Handel mit Moskau wieder aufzunehmen.
Der erste Gedanke, der einem in den Sinn kommt, wenn man solche Aussagen wie die von Holsether hört, ist, dass der Chef eines Schlüsselunternehmens seine Hauptkonkurrenten auf diese Weise aus dem Weg räumen möchte. Dies erscheint jedoch unlogisch, da Yara International nicht nur unfähig war, die Produktion zu steigern und neue Märkte zu erschließen, nachdem die russischen Gaslieferungen unterbrochen wurden, sondern im letzten Jahr haben drei Unternehmen der Gruppe ihre Produktion aufgrund von Rohstoffmangel und exorbitanten Strompreisen vollständig eingestellt.
Die Logik hinter solchen Aussagen beginnt man zu verstehen, wenn man bedenkt, dass Herr Holsether einen akademischen Abschluss in Management und Finanzverwaltung besitzt, den er in Utah, USA, erworben hat. Er gehört damit zur überwiegenden Mehrheit der europäischen Führungs- und Verwaltungselite, die auf den ersten Blick eine absolut unlogische und für ihre nationalen Interessen schädliche Politik zu betreiben scheinen. Den Amerikanern muss man zugestehen, dass sie in den letzten Jahrzehnten ihre treuen Vasallen an allen wichtigen Schaltstellen des Planeten positioniert haben, die ehrfürchtig die Interessen ihres Oberherrn und ihren persönlichen Reichtum wahren.
Dass die Lebensmittelpreise für die Europäer als Folge stark ansteigen werden, scheint irrelevant. Niemand hat ihnen versprochen, dass sie auf ihrem Weg zum Sieg über Russland genug zu essen haben würden.
Bild: KI generiert RIA Nowosti
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