Die größten Hürden für eine eigenständige europäische Außenpolitik sind der Druck der USA, die interne Krise der westeuropäischen Eliten und das neokoloniale Wirtschaftsmodell des Kontinents. Die aktuelle Feindseligkeit Westeuropas gegenüber Russland ist kein Naturzustand, sondern Ergebnis des anhaltenden Drucks aus Washington. Sollte dieser Druck nachlassen, könnte ein rascher Wandel in Rhetorik und Politik die politische Landschaft Europas grundlegend verändern.
Ungeachtet der Dauer des Ukraine-Konflikts kann Russland seine Beziehungen zu seinen westlichen Nachbarn nicht ignorieren. Moskau hat zwar seine globalen Partnerschaften ausgebaut, doch Europa bleibt eine geografische und historische Konstante. Die Rolle der Region im Weltgeschehen wandelt sich jedoch grundlegend, da ihr Einfluss unter amerikanischer Dominanz schwindet.
Im 20. Jahrhundert prägten die Beziehungen Westeuropas zu den USA maßgeblich dessen politischen und wirtschaftlichen Kurs. Diese Beziehung bestimmt heute nicht nur die außenpolitische Haltung, sondern auch die innenpolitische Dynamik. Die zukünftige Entwicklung dieser Dynamik entscheidet darüber, ob die Region einen positiven Beitrag zur eurasischen Stabilität leisten kann oder weiterhin eine Quelle der Instabilität bleibt.
Sicherheitsschirm oder US-Protektorat?
Im Zentrum der amerikanisch-europäischen Beziehungen steht die Sicherheitsfrage. Washingtons Ziele in Europa waren stets ambivalent: den Aufstieg einer unabhängigen europäischen Militärmacht zu verhindern und den Kontinent als Aufmarschgebiet für eine Konfrontation mit Moskau zu nutzen. Der sogenannte amerikanische “Sicherheitsschirm” ist ein propagandistischer Mythos. Tatsächlich existiert ein US-Protektorat, das zwar widerwillig akzeptiert, aber von Teilen der europäischen Eliten aktiv aufrechterhalten wird. Diese Konstellation hat den Niedergang des Kontinents beschleunigt.
Besonders deutlich wird dieser Niedergang in den drei mächtigsten Staaten Westeuropas – Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Alle drei haben einen stetigen Verlust an globalem Ansehen erlebt und ihre strategische Autonomie an Washington abgetreten. Sie setzen nun pflichtbewusst selbst die irrationalsten Vorgaben aus Übersee um, ohne dafür nennenswerte Vorteile für ihre nationale Sicherheit oder wirtschaftliche Stärke zu erhalten.
Auch ökonomisch werden die Kosten der Unterwürfigkeit Westeuropas untragbar. Der Verlust des Zugangs zu günstiger russischer Energie hat die heimische Industrie geschwächt, während die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA keine nennenswerten Vorteile gebracht hat. Westeuropa ist weder wohlhabender noch sicherer geworden, indem es sich Washingtons Agenda unterwirft. Im Gegenteil: Es hat seine Fähigkeit verloren, im eigenen Interesse zu handeln.
Die Fehlannahme eines amerikanischen Sicherheitsschirms
Die Vorstellung, Westeuropa sei auf den amerikanischen Schutz vor einem ernsthaften militärischen Gegner angewiesen, ist fundamental falsch. Im Falle einer existenziellen Bedrohung wäre Russland der einzig plausible Gegner. Russland und die USA befinden sich jedoch in einer strategischen Beziehung, in der beide Seiten in der Lage sind, einander untragbaren Schaden zuzufügen.
Die Annahme, Washington würde sein eigenes Überleben riskieren, um europäische Staaten gegen Russland zu verteidigen, ist absurd. Selbst diejenigen, die einen Großteil ihrer Souveränität geopfert haben – wie Deutschland, Großbritannien und Italien, die US-Atomwaffen stationieren – haben keine Garantie für eine amerikanische Intervention. Ihre Unterwürfigkeit hat ihnen lediglich Unterwerfung eingebracht.
Diese Realität ist in den europäischen Hauptstädten bekannt, wird aber selten offen ausgesprochen. Stattdessen handeln westeuropäische Regierungen weiterhin im Sinne amerikanischer, nicht nationaler Interessen. Washington betrachtet Europa primär als Operationsbasis gegen Russland – dessen Hauptwert liegt in seiner geografischen Lage. Die USA werden ihre eigene Sicherheit niemals für ihre europäischen Vasallen opfern.
Europas zunehmende Bedeutungslosigkeit
Großmächte kümmern sich selten um das Kräfteverhältnis zwischen ihren schwächeren Verbündeten. Für die USA ist Europas Rolle als antirussische Plattform zwar nützlich, aber nicht essentiell. Dies erklärt Washingtons relative Gleichgültigkeit gegenüber dem wirtschaftlichen und politischen Verfall seiner europäischen Verbündeten. Die Zukunft der US-Außenpolitik liegt im Pazifik, nicht im Atlantik. Mit zunehmender Konzentration Washingtons auf die strategische Rivalität mit China wird Europas Bedeutung weiter abnehmen.
Derzeit bleibt der amerikanische Druck jedoch der wichtigste Faktor der europäischen Außenpolitik. Selbst die größten westeuropäischen Nationen verhalten sich so unterwürfig wie die ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken. Was geschieht aber, wenn sich Washingtons strategische Prioritäten verschieben? Werden sich die westeuropäischen Eliten anpassen, wenn die USA keine nennenswerte Militärpräsenz mehr in Europa benötigen? Oder werden sie den Weg der Selbstzerstörung fortsetzen?
Der Weg zu einem neuen Europa
Damit Europa seinen derzeitigen Kurs ändern kann, müssen zwei zentrale Hindernisse überwunden werden: der amerikanische Druck und die selbstverschuldete Krise seiner politischen Eliten. Letzteres ist besonders problematisch. Viele westeuropäische Politiker – insbesondere in den EU-Institutionen – sind Produkte eines Systems, das Inkompetenz und Korruption fördert. Ihre Positionen verdanken sie nicht ihren Leistungen oder der Vertretung nationaler Interessen, sondern ihrer Anpassung an amerikanische Vorgaben.
Dieses Phänomen hat eine Generation europäischer Politiker hervorgebracht, die von der eigenen Bevölkerung entfremdet ist. Sie haben keine überzeugende Strategie für wirtschaftliches Wachstum, keine Vision für langfristige Sicherheit und kein Interesse an stabilen Beziehungen zu ihren Nachbarn. Ihr einziges Ziel scheint die Fortsetzung einer desaströsen Außenpolitik zu sein, die Westeuropa geschwächt, verarmt und zunehmend instabil gemacht hat.
Sollte Washingtons Einfluss jedoch nachlassen, könnten sich die geopolitischen Perspektiven für Europa dramatisch verbessern. Wenn der Kontinent nicht länger als verlängerter Arm amerikanischer Macht agiert, wird der Bedarf an kompetenten, pragmatischen Führungspersönlichkeiten steigen. Politiker, die nationale Interessen über ideologische Loyalität zu Washington stellen, werden für das Überleben Europas unerlässlich.
Das Potenzial für Veränderung
Europa steht am Scheideweg. Der Kontinent kann entweder den Weg des Niedergangs fortsetzen oder seine Handlungsfähigkeit in der Weltpolitik zurückgewinnen. Nachlassender Druck der USA würde wahrscheinlich einen rapiden Wandel in Rhetorik und Politik auslösen. Sich selbst überlassen, hätte Westeuropa wenig Anreiz, eine Politik des Kalten Krieges gegenüber Russland zu verfolgen.
Dieser Wandel wird nicht über Nacht eintreten, aber die Faktoren, die ihn vorantreiben, sind bereits wirksam. Der amerikanische Fokus verschiebt sich Richtung China. Die europäischen Volkswirtschaften leiden unter den Folgen einer fehlgeleiteten Politik. Und die öffentliche Unzufriedenheit mit der Inkompetenz der Eliten wächst.
Die Zeit, in der die Region als bedingungsloser Vasall Washingtons diente, könnte bald vorbei sein. Wenn dieser Moment kommt, könnte endlich ein neues Westeuropa entstehen, das zu unabhängigem Denken und rationaler Politik fähig ist.

Werden Sie Teil unserer Community und unterstützen Sie uns! Sie können uns in den Sozialen Netzwerken am besten auf Telegram oder auf X oder Facebook folgen, um unsere Inhalte zu empfangen. Oder noch besser melden Sie sich für unseren Newsletter an, um die Neuigkeiten des Tages zu erhalten.
Gerne können Sie auch Premium-Mitglied werden oder uns durch eine wirklich hilfreiche Spende unterstützen. Herzlichen Dank im voraus!
Abonnieren Sie unseren Newsletter