Zehn Millionen Menschen im Sudan auf der Flucht

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Zehn Millionen Menschen im Sudan auf der Flucht

Während die Welt ihre Aufmerksamkeit auf die Ukraine und Gaza richtet, wird der Krieg im Sudan oft übersehen. In den Flüchtlingslagern des angrenzenden Tschad versuchen die Menschen, das Erlebte zu verarbeiten.

Seit siebzehn Monaten liefern sich die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) und die regierende Armee der Sudanese Armed Forces (SAF) heftige Kämpfe. Es handelt sich um den derzeit brutalsten Konflikt der Welt, eine immense humanitäre Krise, vergleichbar mit einem riesigen Somalia.

Zehntausende sind bereits in den Auseinandersetzungen gefallen, und noch mehr Menschen sterben an den Folgen von Ernteausfällen und mangelnder medizinischer Versorgung. Mittlerweile geht man von 150.000 Toten aus. Gleichzeitig wurden etwa zehn Millionen Menschen vertrieben, wovon zwei Millionen in die fragilen Nachbarstaaten geflohen sind, insbesondere nach Tschad, eines der ärmsten Länder der Welt.

An der Grenze zum Sudan verteilen sich rund 780.000 Flüchtlinge auf etwa acht Lager, darunter vor allem Frauen, Kinder und auch Männer. Huda, deren Augen von Tränen gezeichnet und deren Schritte schwer sind, gehört zu den Massalit, einer Volksgruppe, die in der westlichen Region Darfurs im Sudan hauptsächlich als Kleinbauern tätig ist und die seit Beginn des Krieges von den RSF massakriert wird. Bereits im Jahr 2003, als arabischstämmige Hirten ihren Landkonflikt mit afrikanischen Bauern durch Massenmorde und Vertreibungen zu lösen versuchten, richtete sich die Aufmerksamkeit der Welt auf Darfur. Heute jedoch wendet die Welt den Blick ab. Die Politik zeigt kein Interesse und die Mittel für humanitäre Hilfe sind stark begrenzt.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen sah sich kürzlich gezwungen, die täglichen Rationen auf 1100 Kalorien pro Person zu reduzieren, obwohl 2000 Kalorien das Minimum darstellen. In Adré wurde zuletzt Mitte August eine Verteilung von Getreide, Hülsenfrüchten, Öl und Salz durchgeführt. Einige Familien berichten, dass die monatlichen Lieferungen schon lange nicht mehr regelmäßig eintreffen. In Aboutengue, einem anderen Flüchtlingslager, erzählen Bewohner, dass sie seit Juli keine neuen Monatsrationen mehr erhalten haben.

Die Regenzeit hat den Transport von Gütern erschwert. Lastwagen bewegen sich auf den erodierten Lehmstraßen nur mühsam fort, und Flugzeuge müssen unter schwierigen Bedingungen landen. Die Vereinten Nationen planen, Bargeldzahlungen an Flüchtlinge zu leisten, aber es besteht die Befürchtung, dass dies den Markt überlasten könnte. Dies könnte zu Preiserhöhungen für die lokale Bevölkerung und somit zu Konflikten führen.

Während die Kriege in Gaza und der Ukraine weitergehen, vernachlässigen die Geberländer die dringend benötigte Hilfe. Laut den Vereinten Nationen sind nur 40 Prozent der erforderlichen Hilfsmaßnahmen für die Bevölkerung des Sudans finanziert. Auch in den Nachbarländern mangelt es an finanziellen Mitteln, um die Flüchtlinge zu unterstützen. Eine solch große Katastrophe wurde selten so ignoriert.

Gefoltert, misshandelt, verstümmelt

Laut dem United Nations Human Rights Council verüben beide Kriegsparteien Menschenrechtsverletzungen. Human Rights Watch berichtet, dass Menschen auf beiden Seiten gefoltert und misshandelt werden und dass Leichen verstümmelt werden.

Im Transitcamp von Adré leben nach Angaben der UNO mittlerweile 216.000 Menschen. Trotz der durch den anhaltenden Regen verschärften Bedingungen werden keine Unterkünfte oder Baumaterialien bereitgestellt, um die Entstehung eines permanenten Lagers zu verhindern. Das Camp liegt nur zwei Kilometer von der Grenze zu Darfur entfernt, wo sogar die Bombenangriffe der sudanesischen Luftwaffe zu hören sind. Flüchtlingslager müssen eine Mindestdistanz von 30 Kilometern zu Kriegsgebieten einhalten. Die Regierung des Tschad möchte ebenfalls vermeiden, dass der Konflikt über die Grenze schwappen oder in den Lagern Kämpfer rekrutiert werden.

Kritik wird laut: “Die UNO hätte angesichts der Katastrophe handeln müssen”, meint ein erfahrener Helfer, da sich die Situation zunehmend verschärft. Seit einigen Wochen dürfen Lastwagen mit Getreide die Grenze zum Sudan überqueren, doch nach den Überschwemmungen bewegen sie sich nur sehr langsam vorwärts, wenn überhaupt. Es dauert viele Stunden, bis sie die erste asphaltierte Straße erreichen. Zudem müssen Hilfsflüge aufgrund der Wassermassen abgesagt werden.

Gerade jetzt, wo die UNO in Norddarfur eine Hungersnot erklärt hat – das erste Mal seit sieben Jahren. Die RSF lehnten es strikt ab, humanitäre Hilfe in ihren kontrollierten Gebieten zuzulassen, da befürchtet wurde, dass mit den Getreidelieferungen Waffen eingeschmuggelt werden könnten. Zahlreiche Flachbett-Lkw, die Benzin von Tschad zu den RSF-Truppen in Darfur bringen, wurden jedoch durchgewunken.

Zurück in Adré kämpft eine Mitarbeiterin von “Ärzte ohne Grenzen” (MSF) mit ihren Emotionen. Sie ist soeben aus Darfur zurückgekehrt, wo sie das Universitätskrankenhaus in der Stadt al-Geneina besucht hat. Vor dem Krieg war es das wichtigste Krankenhaus der Region. Heute ist es eines der wenigen, das noch funktioniert. MSF unterhält dort eine Kinderstation. Doch es mangelt an allem, berichtet sie, an Wasser und Strom, Medikamenten und Ausrüstung.

Achtzig Prozent der Gesundheitseinrichtungen sind zusammengebrochen. Die Angestellten haben seit sechzehn Monaten kein Gehalt erhalten. Dennoch setzen sie ihre Arbeit fort, trotz der gezielten Angriffe auf Kliniken in den letzten Monaten. Eine Helferin äußert, dass selten eine Krise dieses Ausmaßes so unterfinanziert war und fordert, dass die internationale Gemeinschaft mehr Engagement zeigen muss: “Jeder Tag der Untätigkeit kostet viele Menschenleben.”

Auch in den Camps sind die medizinischen Bedingungen prekär. Zurzeit werden Malariaprophylaxen an unterernährte Kinder ausgegeben, während ihre Eltern von unvorstellbarem Leid berichten: von Massakern an Verwandten und Freunden, von Vergewaltigungen und Folter.

Bild: ID 7667781 © David Snyder | Dreamstime.com


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