Gaza interessiert niemanden mehr ein Menschenleben bedeutet nichts

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Gaza interessiert niemanden mehr ein Menschenleben bedeutet nichts
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Neue, schockierende Enthüllungen von israelischen Soldaten, die in Gaza stationiert waren, zeichnen ein beunruhigendes Bild der Vorgehensweise der israelischen Armee (IDF) bei der Verteilung humanitärer Hilfsgüter. Laut Berichten von Haaretz gaben Kommandeure wiederholt Befehle, gezielt auf palästinensische Zivilisten in der Nähe von Hilfsgüterverteilungsstellen zu schießen. Dies geschah, obwohl klar war, dass die Menschen keine unmittelbare Bedrohung darstellten, sondern lediglich versuchten, lebensnotwendige Nahrungsmittel zu erhalten.

Ein Soldat beschrieb die Situation als einen “völligen Zusammenbruch der ethischen Kodizes der israelischen Streitkräfte in Gaza”. Seit dem 27. Mai wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza 549 Menschen in der Nähe von Hilfszentren und in Gebieten getötet, in denen Bewohner auf UN-Lebensmittellastwagen warteten. Über 4.000 weitere wurden verwundet. Die genaue Zahl der Opfer, die durch IDF-Feuer getötet oder verletzt wurden, bleibt jedoch unklar. Die Vorfälle haben weitreichende Konsequenzen: Der Generalanwalt des Militärs hat den Fact-Finding Assessment Mechanism des IDF-Generalstabs angewiesen, mutmaßliche Kriegsverbrechen an diesen Orten zu untersuchen.

Die Rolle der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) und das Chaos der Verteilung

Die Gaza Humanitarian Foundation (GHF), deren Gründung und Finanzierung undurchsichtig bleiben, begann Ende Mai mit ihrer Arbeit im Gazastreifen. Es ist bekannt, dass sie von Israel in Abstimmung mit US-Evangelikalen und privaten Sicherheitsunternehmen ins Leben gerufen wurde. Der aktuelle CEO ist ein evangelikaler Führer mit engen Verbindungen zu US-Präsident Donald Trump und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Die GHF betreibt vier sogenannte “Schnellverteilungszentren” (Mahpazim) – drei im südlichen und eines im zentralen Gazastreifen. Diese Zentren werden von amerikanischen und palästinensischen Arbeitern betrieben und aus mehreren hundert Metern Entfernung von der IDF gesichert. Tausende, manchmal Zehntausende von Bewohnern des Gazastreifens strömen täglich zu diesen Orten, um Lebensmittel zu erhalten.

Entgegen den anfänglichen Versprechen der Stiftung verläuft die Verteilung chaotisch, was zu gefährlichen Drängeleien führt. Haaretz hat seit der Eröffnung der Zentren 19 Schießereien in deren Nähe dokumentiert. Obwohl die Identität der Schützen nicht immer eindeutig ist, lässt die IDF keine bewaffneten Personen ohne ihr Wissen in diese humanitären Zonen zu.

“Operation Gesalzener Fisch”: Einblicke in die Einsatzregeln

Soldaten berichten, dass die IDF oft auf Menschen schießt, die vor den Öffnungszeiten eintreffen, um sie am Annähern zu hindern, oder nach Schließung der Zentren, um sie zu zerstreuen. Da einige der Schießereien nachts stattfanden, ist es möglich, dass Zivilisten die Grenzen der ausgewiesenen Gebiete nicht erkennen konnten.

“Es ist ein Schlachtfeld”, beschreibt ein Soldat die Lage. “Dort, wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einem und fünf Menschen getötet. Sie werden wie eine feindliche Streitmacht behandelt – keine Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas – nur scharfes Feuer mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser.” Die Kommunikationsform der IDF sei das Schießen. Der Soldat fügte hinzu, dass es ihm nicht bekannt sei, dass es zu Gegenfeuer gekommen sei – es gäbe “keinen Feind, keine Waffen”. Diese Vorgehensweise wird intern als “Operation Gesalzener Fisch” bezeichnet, eine Anspielung auf ein Kinderspiel.

Vertuschung und mangelnde Transparenz

IDF-Offiziere gaben gegenüber Haaretz an, dass die Armee die Veröffentlichung von Filmmaterial über die Geschehnisse rund um die Lebensmittelausgabestellen in der Öffentlichkeit – sowohl in Israel als auch international – verhindere. Sie seien zufrieden, dass die GHF-Operationen einen völligen Zusammenbruch der internationalen Legitimität für die Fortsetzung des Krieges verhindert hätten. Ein Reservist bemerkte zynisch: “Gaza interessiert niemanden mehr. Es ist ein Ort mit eigenen Regeln geworden. Der Verlust von Menschenleben bedeutet nichts.”

Ein Offizier, der in der Sicherheitsabteilung eines Verteilungszentrums tätig war, kritisierte den Ansatz der IDF als “zutiefst fehlerhaft”. Er betonte, dass es weder ethisch noch moralisch akzeptabel sei, dass Menschen unter Panzerfeuer, Scharfschützen und Mörsergranaten eine humanitäre Zone erreichen müssten. Er beschrieb, wie die IDF nachts das Feuer eröffne, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass dies eine Kampfzone sei und sie sich nicht nähern dürften. In einem Vorfall landete eine Granate auf einer Menschengruppe, als das Mörserfeuer wieder aufgenommen wurde, um eine sich nähernde Menschenmenge zu vertreiben.

Bauunternehmer als “Sheriffs” und die Rolle hochrangiger Offiziere

Berichte von Kommandeuren und Kämpfern deuten darauf hin, dass die Handlungen der Bodentruppen nicht mit den Einsatzplänen übereinstimmen. Private Bauunternehmer, die für Abrissarbeiten in Gaza bezahlt werden, agieren scheinbar willkürlich und zwingen die Sicherheitskräfte, sie zu schützen. Dies führt zu Schießereien in Gebieten, in denen sich Palästinenser aufhalten dürfen. “Wenn ein Bauunternehmer weitere 5.000 Schekel verdient und ein Haus abreißt, wird es als akzeptabel angesehen, Menschen zu töten, die nur nach Nahrung suchen”, so ein erfahrener Kämpfer.

Brigadegeneral Yehuda Vach, Kommandeur der IDF-Division 252, wird in Zeugenaussagen häufig im Zusammenhang mit Schießereien in der Nähe von Hilfsorten genannt. Ein Offizier der Abteilung bestätigte, dass Vach die Politik verfolge, Versammlungen von Palästinensern, die auf UN-Hilfslastwagen warteten, durch Feuer zu zerstreuen. “Das ist Vachs Politik, aber viele der Kommandeure und Soldaten haben sie ohne Frage akzeptiert”, sagte der Offizier.

Eskalation und Normalisierung des Tötens

Die Zahl der Todesopfer in der Nähe von Lebensmittelverteilungsgebieten ist in den letzten Wochen dramatisch angestiegen. Am 11. Juni waren es 57, am 17. Juni 59 und am 24. Juni rund 50 Tote. Militärquellen zufolge begannen die Truppen, Menschenmengen mit Artilleriegranaten auseinanderzutreiben. Eine Militärquelle, die an einem internen Treffen teilnahm, äußerte sich besorgt: “Sie reden davon, Artillerie gegen eine Kreuzung voller Zivilisten einzusetzen, als ob das normal wäre.”

Hochrangige IDF-Beamte äußern Frustration darüber, dass das Südkommando die Vorfälle nicht gründlich untersucht und die zivilen Todesopfer ignoriert. Generalmajor Yaniv Asor, Chef des Südkommandos, führt Berichten zufolge meist nur vorläufige Untersuchungen durch und hat keine Disziplinarmaßnahmen gegen Offiziere ergriffen, selbst bei eindeutigen Verstößen gegen die Befehle der IDF und das Kriegsrecht.

Ein IDF-Sprecher erklärte, dass die Hamas eine “brutale Terrororganisation” sei, die die Bevölkerung des Gazastreifens aushungere und die Verteilung von Nahrungsmitteln verhindere. Er betonte, dass die IDF die GHF unterstütze und in der Nähe der Verteilungsgebiete operiere, um die Verteilung zu ermöglichen und gleichzeitig die operativen Aktivitäten fortzusetzen. Er fügte hinzu, dass Vorfälle, bei denen Zivilisten zu Schaden kamen, untersucht und entsprechende Anweisungen an die Einsatzkräfte vor Ort gegeben wurden.


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